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1938 wurde mit dem Bau der Melanchthonkirche begonnen. Am 3. Advent 1940 konnte sie von Landesbischof D. Hans Meiser eingeweiht werden. Die von ihm gewidmete Bibel liegt noch heute auf dem Altar.
Architekt war der im Dritten Reich hochangesehene Architekt Prof. German Bestelmeyer, der das Nürnberger Stadtbild durch die Friedenskirche, die Gustav-Adolf-Gedächtniskirche und den (mittlerweile alten) Haupteingang zum Germanischen Nationalmuseum auch anderweitig stark geprägt hat. Seine typischen Baumerkmale: Ziegelsteinmauern in schlichten, römisch-romanischen Formen, die wie aus alter Zeit gewachsen wirken, finden sich auch an der Melanchthonkirche (asymmetrische Westseite, Lastenaufzug an der Nordseite).
Weil sich von 1933 bis 1943 auf dem Gelände des heutigen Volksparks Marienberg der Flughafen befand, durfte die Kirche keinen Turm erhalten, was Bestelmeyer durch eine eindrucksvolle Westfront mit Glockenstuhl und kunstvoller Spieluhr (Markus Heinlein) ausglich.
Jeden Mittag um zwölf Uhr erscheint über der Uhr der „Tod von Ziegelstein“ und macht zwölf Streiche mit seiner Sense. „Una ex his tua erit“ – „Eine von diesen (Stunden) wird deine sein“ steht daneben. Stärker konnte das „Memento mori“ zu Beginn des Krieges kaum betont werden.
Doch nicht der Tod hat das letzte Wort; über ihm kommt uns freundlich das Christus-Kind entgegen. Die ganze Welt und wir liegen in seiner wohlwollenden Hand. Das Motiv der Weltkugel setzt sich dann im Innenraum fort.
Das trutzige Portal mit den Löwenkopf-Türen vermittelt den Eindruck „Ein feste Burg ist unser Gott“. Dabei macht das Kalkstein-Bild zu Psalm 42,4 „Wie der Hirsch schreit nach frischem Wasser, so schreit meine Seele, Gott, zu dir“ deutlich: Diese Burg dient nicht (nur) siegreichen Helden, sondern dem beladenen Menschen in seelischer Not. Der braucht vor allem eines: Gott. Und der lässt sich hier finden und hören.
Der schlichte Vorraum erhöht die Spannung auf das folgende. In der Ecke links steht seit einigen Jahren die Skulptur des Buchenbühler Künstlers Otto Fuchs. Christus empfängt alle, die hier eintreten. – Über dem Türstock steht der Lobpreis vom Ende des Vaterunsers „Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.“ Wie mehrfach bei Bestelmeyer ist nicht sicher auszumachen, ob hier die Affinität des Christentums zum Führerstaat markiert wird oder ob dem Führerstaat das wahre Reich und der wahre Herr entgegengestellt werden sollen. – Diese zweite Lesart erlaubt es, Bauwerke wie die Melanchthonkirche unverändert anzunehmen und zu nutzen.
Durch die zweite Doppeltür öffnet sich nun der streng gegliederte, hell-klare Kirchenraum. Die Ziegel der Außenmauern finden sich hier nurmehr an den Altarstufen. Sonst trifft das Licht durch die Rundbogenfenster auf weiße, durch Mauervorsprünge gegliederte Wände.
Der Blick richtet sich unwillkürlich auf den Altar, einen byzantinisch anmutenden Tempel mit einem prunkvollen Mosaik der Kreuzigung (Hermann Kaspar nach Entwurf von Sven Bjerregaard). Diese ostkirchliche Bildsprache steht in Spannung zur streng evangelischen Aufschrift am Baldachin: „Im Anfang war das Wort“ (Joh 1,1). Auf der Giebelspitze thront das Christus-Monogramm.
Die Säulen des Altars, die Kanzel und der Taufstein, also die drei liturgischen Hauptorte, sind aus rotem Ruhpoldinger Marmor gearbeitet.
An der Kanzel (Markus Heinlein) sticht sofort der Adler in Form des NS-Reichsadlers ins Auge. In seinen Krallen hält er die Weltkugel. Befällt einen hierüber Befremden, so möge der Blick nach rechts zur Spitze des Taufsteindeckels wandern: Hier landet – ebenfalls auf einer Weltkugel – die Heilig-Geist-Taube. Ja es ist gar nicht ganz auszumachen, ob sie landet oder auffliegt. Nur kurz scheint sie die Welt zu streifen.
Es scheint theologisch naheliegend, dass die beiden Vögel an Kanzel und Taufstein die von Luther streng unterschiedenen zwei Wirkweisen des Wortes Gottes, Gesetz und Evangelium, darstellen. Das Gesetz ist Gottes Wille zur guten Gestaltung dieser Welt, zusammengefasst in den Zehn Geboten. „Dein Wille geschehe – wie im Himmel so auf Erden.“ Das symbolisiert der Adler als Himmelsvogel, der hier auf der Welt thront.
Das andere Wort Gottes ist das Evangelium, die gute Botschaft von der Vergebung und der Versöhnung mit Gott, die Christus für uns erwirkt hat. Gesetz und Evangelium sind dadurch aufeinander bezogen, dass das Gesetz den Menschen seiner Sünde überführt, ihm also zeigt, wo und wie er gegen Gottes Willen verstößt, damit er seine Zuflucht nimmt in der Taufe zu Vergebung der Sünden. Ein Christenmensch solle dazu täglich in die Taufe kriechen, meinte Martin Luther.
Dieser Zusammenhang von Gesetz und Evangelium macht auch klar, dass auf der Kanzel nicht etwa nur das Gesetz und in der Taufe nicht etwa nur das Evangelium vermittelt wird. Die Predigt findet ihre Erfüllung im Evangelium und die Taufe wäre schales Wasser, wenn sie nicht gerade die Macht der Sünde abwüsche. So gehören Adler und Taube unabweisbar zusammen.
Dass der NS-Reichsadler nahelegt, Gottes Wille falle mit dem des Führerstaates zusammen, steht auf einem anderen Blatt. Der Gedanke war damals leider etlichen Lutheranern nicht fremd.
Der Taufstein selbst ist mit sechs Tauf- und Christus-Symbolen geschmückt (Alpha und Omega, Öllicht und Kreuz, Arche und Fisch). Im Kegelmantel der Haube künden Reliefdarstellungen von Sonne, Komet und Mond davon, wer
den damit angedeuteten Kosmos im Innersten zusammenhält: Christus. Dazwischen das Bibelwort: „Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte werden nicht vergehen!“ (Lk 21,33)
Das Rundbogenfenster (Josef Oberberger) zeigt Christus als Weltherrscher und gnädigen Richter, umgeben von den Evangelisten-Symbolen Adler (Johannes), Stier (Lukas), Löwe (Markus) und Engel (Matthäus). Damit ist klar, wer letztgültig die Weltkugel besitzt und damit Gesetz und Evangelium in sich vereint.
In der vorderen Nische der rechten Außenwand findet sich eine verkleinerte Kopie der sog. „Großen Nürnberger Reformation“ – ein Fünffach-Holzschnitt von etwa 1556. Er zeigt die Taufe Christi durch Johannes den Täufer in der Pegnitz vor Nürnberg. Links knien die protestantischen Fürsten, rechts die Reformatoren, angeführt von Hus, Luther und Melanchthon. Das Bild will den damaligen wie heutigen Betrachtern zeigen, dass die Reformation durch ihre Lehre und Verkündigung die Heilstaten Christi wieder ins Hier und Jetzt gebracht hat.
Links über Eck hängt eine Kopie des Kupferstichs von Albrecht Dürer, mit dem er 1526 Philipp Melanchthon porträtierte. Die beiden trafen sich anlässlich der Gründung des heutigen Melanchthon-Gymnasiums, wozu der Wittenberger Professor nach Nürnberg kam und eine programmatische Rede zur Bildung der Jugend hielt.
Ein Blick zurück zeigt nun die Orgel auf der hölzernen Empore thronen. Zu sehen ist der Orgel-Prospekt aus dem Jahr der Einweihung. Die ursrpüngliche Steinmeyer-Orgel musste allerdings im Jahr 1995 durch eine neue, gebaut von der Firma Link, ersetzt werden.
„Der HERR behüte deinen Ausgang und Eingang von nun an bis in Ewigkeit.“ Psalm 121,8
Pfr. Dr. Matthias Dreher