Wer war Melanchthon?

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Humanist – Griechischprofessor – Luthers rechte Hand – Systemdenker der Reformation – Bekenntnis-Schreiber – Schulreformer

1497-1560

 

Gelehrter Außenminister

Von Thomas Greif

Ihre Grabsteine in der Wittenberger Schlosskirche lassen keine Hierarchie erkennen. Doch in der Erinnerung der Nachwelt hat es der arme Magister Philippus nicht leicht gehabt: hier der kraftstrotzende Luther, der Wellenbrecher der Reformation, der Kaiser und Papst frech die Stirn bietet; dort ein schmächtiges Männlein von 1,50 Meter Größe mit einem leichten Sprachfehler, das die von Luther geschlagenen Breschen mit gangbaren Kompromissen zu überbrücken sucht und dafür schon zeit seines Lebens im eigenen Lager angefeindet wird. Hier der draufgängerische Volksheld, dort der Intellektuelle, diplomatische Gelehrte.

Luther selbst hatte es 1527 gut mit Melanchthon gemeint: »Ich bin dazu geboren, dass ich mit den Rotten und Teufeln muss kriegen und zu Felde liegen, darum meiner Bücher viel stürmisch und kriegerisch sind. Ich muss die Klötze und Stämme ausrotten, Dornen und Hecken weghauen, die Pfützen ausfüllen, und bin der grobe Waldrechter, der die Bahn brechen und zurichten muss. Aber Magister Philippus fährt säuberlich und stille daher, bauet und pflanzet, säet und begeyßt mit Lust, nach dem Gott ihm hat gegeben seine Gaben reichlich.« Der grobe Waldrechter geht vor dem stillen Sämann.

PHILIPP SCHWARZERDT wird geboren am 16. Februar 1497 in der damals kurpfälzischen Stadt Bretten nördlich von Pforzheim. Schon mit elf Jahren endet für den hochbegabten Knaben die Kindheit: Binnen kurzer Zeit sterben Vater und Großvater. Philipp wird Lateinschüler in Pforzheim. Hier verpasst ihm sein Großonkel, der berühmte Humanist Johannes Reuchlin, den Namen, unter dem er berühmt werden sollte: »Melanchthon«, eine Übertragung des Familiennamens ins Griechische (»Schwarze Erde«), wie sie seinerzeit in Humanistenkreisen üblich war. Mit zwölfeinhalb Jahren taucht Melanchthon an der Universität Heidelberg auf, mit fünfzehn studiert er in Tübingen. Er ist zarte 21, als er am 28. August 1518 seine Antrittsvorlesung als Professor für Griechisch an der noch jungen sächsischen Landesuniversität (»Leucorea«) in Wittenberg hält. Viele denken, was ein Student zu Papier bringt: »Vermeintest, er wäre ein Knab gewesen. Von Geist aber ein Ries.«

Das intellektuelle Multi-Talent, das neben den Alten Sprachen auch Theologie, Geschichte, Physik, Mathematik und Astronomie lehrt, hat das Glück, zur rechten Zeit am rechten Ort zu sein. Denn Wittenberg, wo Luther ein Jahr zuvor seine 95 Thesen veröffentlicht hatte, rückt mehr und mehr in den Fokus der abendländischen Welt. Die Leucorea wird zur bedeutendsten Universität im deutschen Sprachraum – nicht zuletzt dank der Reformideen Melanchthons, die er selbstbewusst bereits in seiner Antrittsvorlesung auf den Tisch gelegt hat.

Philipp Melanchthon gibt der von Luther losgetretenen Bewegung der Reformation das wissenschaftlich-systematische Rückgrat. Schon 1521 erscheint die Erstausgabe seines wichtigsten wissenschaftlichen Werkes, der »Loci communes rerum theologicorum«, deren berühmtester Satz in deutscher Übersetzung so lautet: »Das heißt Christus erkennen: Seine Wohltaten erkennen.« Melanchthons berühmteste und folgenreichste Schrift aber ist die »Confessio Augustana«, das »Augsburgische Bekenntnis«,  das von den protestantischen Reichsständen beim Reichstag 1530 in Augsburg vorgetragen wird. Bis heute werden evangelisch-lutherische Theologen auf dieses Bekenntnis verpflichtet, das Luther von der Veste Coburg aus gutheißt, aber auch anmerkt, er selbst könne »so sanft und leise nicht treten« – denn Melanchthon hat darin nicht zuletzt die Gemeinsamkeiten mit der kaiserlichen Religionspartei betont.

SEINE BEDEUTUNG für den Fortgang und die Festigung der Reformation ist nicht nur wegen der »Confessio Augustana« kaum zu ermessen. Luther stand ja unter Reichsacht und war in seiner Reisefreiheit sehr eingeschränkt. So avanciert der Philologe Melanchthon zum theologischen »Außenminister« der Reformation: Reichstage, Religionsgespräche, Visitationen und andere Verhandlungen halten ihn auf Achse, gut ein Drittel seines Lebens ist er auf Reisen. Nach Luthers Tod im Jahr 1546 wächst ihm gar die Führungsrolle im theologischen Lager der Protestanten zu, eine Rolle, in der er sich niemals wohl fühlt. Fast 10 000 Briefe hat er geschrieben oder erhalten. Mindestens ebenso bedeutend wie sein theologisch-politisches Vermächtnis ist das pädagogische. »Praeceptor Germaniae «, Lehrer Deutschlands, nennt man ihn ehrfürchtig schon zu Lebzeiten.

ER ENTRÜMPELT die Lehrpläne zugunsten humanistischer Ideale (»ad fontes«, »zu den Quellen«) von der mittelalterlichen Scholastik. In Nürnberg gründet der Rat der Stadt 1526 die »Obere Schule St. Egidien«, die Keimzelle des deutschen Gymnasiums, mit einer Schulordnung aus Melanchthons Feder. Er hält auch die Eröffnungsrede. → Melanchthon-Gymmasium

Auch an der Gründung der Universitäten von Jena, Marburg und Königsberg ist Melanchthon beteiligt. Studenten aus ganz Europa kommen nach Wittenberg und verbreiten seine Bildungsideale.

HINTER DEM AKADEMIKER bleibt der Mensch Philipp Melanchthon seltsam verborgen. 1520 heiratet er die Wittenberger Kaufmannstochter Katharina Krapp, mit der er vier Kinder hat. Melanchthon stirbt am 19. April 1560 in seinem Haus in Wittenberg. Seine letzten Zeilen schreibt er wenige Tage vor seinem Tod:

»Du wirst von der Sünde loskommen / Du wirst von der Trübsal befreit / und von der Wut der Theologen.

Du wirst zum Licht gelangen / Du wirst Gott sehen. / Du wirst den Sohn Gottes schauen.

Du wirst die wunderbaren Geheimnisse erfahren, / die du in diesem Leben nicht begreifen konntest

nämlich warum wir so, wie wir sind, geschaffen wurden.

und wie die beiden Naturen (die göttliche und die menschliche) in Christus miteinander verbunden sind.«

 

aus:

Thomas Greif, Sonntagsblatt THEMA „Philipp Melanchthon“, Ausgabe 1/2010, S. 4-12 (gekürzt). Verwendung mit freundlicher Genehmigung – www.sonntagsblatt.de

Bild: © Rudolf Rieß, Nürnberg, Verwendung mit frdl. Genehmigung